Eine kurze Geschichte des Theaterschiffs: Am Anfang war die Seemöve
Doch bevor es zum Theater wurde, hatte das Schiff schon eine bewegte Geschichte hinter sich. Sommer 1912. Die Ära der schweren hölzernen Segelschiffe für die Frachtfahrt näherte sich ihrem Ende. Abgelöst wurden sie von Stahlschiffen, die zum Beispiel in der Werft van Diepen in Waterhuizen in der Provinz Groningen vergleichsweise billig in Fließbandserie zusammengenietet wurden. Die hier entstandene Baunummer 366 – ein 20,19 Meter langer, elegant-schneeweißer Besan-Ewer – erhielt den stolzen Namen „Seemöve“. Die beiden Masten ließen sich klappen, um niedrige Kanalbrücken passieren zu können. Der erste Schiffsbrief vom königlichen Amtsgericht in Harburg vom 19. Juni 1912 belegt, dass Händler Jürgen Schröder aus Borstel im Alten Land für das Schiff 14.500 Gold-Mark hinblätterte, bevor er damit Mais und Dünger von Hamburg nach Dänemark schippern konnte.
Der Segler wird ein Motorschiff
Um die Zufallsfaktoren Windstille oder zu starke See in den Griff zu bekommen, entschied sich Schröder 1923 dazu, eine erste Hilfsmaschine einzubauen. Als der 35-PS-Glühkopfbrenner mit Funken und Getöse zum ersten Mal seinen Dienst antrat, soll der Kapitän in Ohnmacht gefallen sein.
Sechs Jahre später kaufte Kapitän Wilhelm Raap aus Krautsand die „Seemöve“. 1934 beauftragte umfangreiche Umbauten: Eine 100-PS-Maschine sorgte für mehr Power, einer der Masten fiel, der Klüverbaum wurde gekappt und es blieb nur noch eine Hilfsbesegelung. In einer Bombennacht des Zweiten Weltkriegs sank die „Seemöve“ im Hamburger Hafen. Doch Raap gab nicht auf. Er ließ das Schiff heben und reparieren. Bis 1955 wuchs die „Seemöve“ auf eine Gesamtlänge von 34,50 Meter und ein Volumen von 251 Ladetonnen. Aus dem eleganten Segler war ein Küstenmotorschiff geworden, das kostendeckend auch weitere Reisen unternehmen konnte.
Zehn Jahre wechselte die „Seemöve“ erneut den Besitzer und wurde zur „MS Rita Funck“. Doch schon nach wenigen Jahren wurde dem neuen Eigner das altgediente Schiff zu klein für seine großen Frachten.

Und dann war’s ein Theaterschiff
1974 kauften Christa und Eberhard Möbius den für die Schifffahrt unwirtschaftlichen Dampfer und ließen ihn auf der kleinen Familien-Werft Garbers in Rothenburgsort zum Theaterschiff umbauen. Am 13. Oktober 1975 dann feierte „Das Schiff“ Premiere an seinem Liegeplatz im Nikolaifleet. Da das Theaterschiff bis heute seetauglich ist, gab und gibt es Gastspiele anlässlich der Kieler Woche, in Bremerhaven, Helgoland und in Häfen rings um Hamburg.
25 Jahren später übernahm Familie Schlesselmann die Leitung des Theaterschiffs. Anke und Gerd Schlesselmann hatten den Weg des Schiffes von Anfang an freundschaftlich verfolgt und führten das Theater nun mit großer Leidenschaft. 2007 holten sie Schauspieler, Autor und Regisseur Michael Frowin als künstlerischen Leiter an Bord. Gemeinsam steuerten sie das Theaterschiff zurück in ein erfolgreiches Fahrwasser. Im April 2012 übernahm Heiko Schlesselmann die Arbeit seiner Eltern und leitet seitdem das Theater zusammen mit Michael Frowin.
Neben dem eigenen Ensemble, das vor allem musikalisch-kabarettistische Programme präsentiert, sind hochkarätige Gäste auf der Bühne im Nikolaifleet zu erleben. So ist und bleibt das Hamburger Theaterschiff ein echtes Juwel der Hansestadt.